Kognitive und Neuronale Veränderungen
Neuronale und Kognitive Veränderungen auf mutliplen Zeitskalen
Unser Alltag in durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Lern- und Anpassungprozessen geprägt, die sich oft über Wochen oder sogar Jahre erstrecken. Kinder benötigen zum Beispiel 2-4 Wochen um Fahrradfahren zu lernen, Amateur-Schachspieler benötigen Monate, um ihre Fähigkeiten signifikant zu verbessern und im Rahmen einer Psychotherapie erlernen Menschen mit psychischen Erkrankungen über längere Zeiträume hinweg, ihr Verhalten und Erleben neu zu definieren.
Diese langanhaltenden Lernprozesse werfen die Frage auf, wie kürzere Episoden, wie beispielsweise eine einzelne Schachstunde, mit dem langfristigen Aufbau von Strategien und Anpassungsprozessen zusammen spielen. Psychologische und neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass es in vielen Fällen insbesondere Menschen sehr gut gelingt, durch Generalisierung einzelner Erfahrungen langfristig wirksame Schlüsse zu ziehen. In der Tat zeigen Menschen die Fähigkeit zum “Metalernen” – wir lernen, wie wir schneller lernen können.
Der Schwerpunkt Kognitive und Neuronale Veränderungen untersucht Lern- und Veränderungesprozesse auf kurzen und längeren Zeitskalen durch eine Kombination von Ansätzen aus der Psychologie, den Neurowissenschaften, und der künstlichen Intelligenzforschung. Dabei werden Faktoren untersucht, die Lerneffizienz oder andere Aspekte des Lernens generell modulieren, zum Beispiel inwiefern Lernen während früher Entwicklungsphasen langfristige Folgen haben kann oder welche Lernprozesse der Psychotherapie zu Grunde liegen.
Neuroplastizität in sensiblen Phasen und in der Entwicklung. Zentral für unseren Ansatz sind die Prinzipien der Neuroplastizität und deren Modulation. Frühe Entwicklungsphasen sind charakterisiert durch eine Reihe von “sensiblen Phasen”, d.h. Zeitfenstern, in denen das Gehirn aufgrund erhöhter Neuroplastizität besonders anfällig für Erfahrungen ist. Während sensibler Phasen muss eine adäquate Erfahrung verfügbar sein, um eine typische Ausprägung neurokognitiver Funktionen zu ermöglichen. Sensible Phasen für emotionale und soziale Prozesse sind weniger gut verstanden, auch wenn erste Studien Hinweise liefern. Beispielweise sind frühe Traumata stärker mit späterer Psychopathologie verbunden als späte Traumata. Dennoch ist derzeit nicht hinreichend bekannt, für welche Prozesse beim Menschen sensible Phasen existieren. Forschung innerhalb des MoC untersucht daher beispielsweise Menschen mit sensorischen Defekten im frühen Kindheitsalter, welche Rolle pre-verbales statistisches Lernen bei der Entwicklung von Sozialverhalten von Kindern spielt oder warum viele psychische Erkrankungen insbesondere im Jugendalter bemerkbar werden.
Stress, Schlaf und Reaktivierung modulieren Veränderlichkeit im Erwachsenenalter. Jüngste Forschungen deuten darauf hin, dass es auch im Erwachsenenalter kürzere “sensible Phasen” geben könnte, in denen es für bestimmte Arten von Erfahrungen über kurze Zeitfenster eine erhöhte Neuroplastizität gibt. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass die Reaktivierung konditionierter Furcht eine Übergangsphase für eine dauerhafte Löschung von Angsterinnerung eröffnet. Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass körperliche Betätigung kurze Zeiträume der Neuroplastizität eröffnet. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Exposition einer stressvollen Begegnung eine zeitlich begrenzte Zeitspanne verbesserter Gedächtnisbildung für laufende Ereignisse induziert. Auch Schlaf spielt eine entscheidene Rolle. Viele Studien haben gezeigt, dass Schlaf wesentlich für die langfristige Gedächtniskonsolidierung ist. Im Rahmen des MoC untersuchen daher mehrere Projekte wie sich spezifische Erfahrungen, deren Reaktivierung, Stress und Schlaf auf kurz-und langfristiges Lernen auswirken.
Was können wir von der künstlichen Intelligenzforschung lernen? In den letzten Jahren haben wir einen rasanten Fortschritt in der künstlichen Intelligenzforschung erlebt, die auch wichtige Einsichten in Lernmechanismen auf algoritmischen Ebenen bietet. Wie lernen chatGPT und co. und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zum menschlichen Lernen? Gibt es “mathematische Naturgesetze des Lernens”? Um solche Fragen zu beantworten, greifen einige Projekte im Rahmen des MoCs auf Modelle des Maschinellen Lernens zurück, wie beispielsweise neuronale Netze. So kann präziser verstanden werden, wie Lernen in einem komplexen System, wie dem menschlichen Gehirn, implementiert sein könnte. Aktuelle Ansätze im Maschinellen Lernen weisen allerdings gerade im Zusammenspiel von kurzen und langfristigen Veränderungsprozessen gravierende Probleme auf. So findet man zum Beispiel oft, dass neuronale Netze dazu neigen, alte Erfahrungen zu vergessen wenn sie Neues enkodieren – ganz im Gegensatz zur menschlichen Fähigkeit, kontinuierlich auf alte Erfahrungen aufzubauen und daraus langfristige, generalisierbare Schlüsse zu ziehen. Gemeinsamkeiten und Kontraste zwischen menschlichem Verhalten und mathematischen Modellen des Lernens spielen daher in MoC Projekten eine zunehmende Rolle.